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Literarisches Schelmenstück

7. Juli 2013

Bernhard Blöchl

2013 erschien “Für immer Juli”, mein Debütroman im tollkühnen MaroVerlag. Einen Juli später veröffentlicht der bloggende (Anti-)Held meiner Geschichte die Sekundärliteratur zur eigenen Story: “Schluss mit luschig!” (Rowohlt) ist das Buch zum Blog zum Roman. Aus Anlass dieser Höllenfahrt in den Autorenhimmel: ein Plädoyer für literarische Experimente. Und für die Verschmelzung von On- und Offline.

„A good book has no ending.“ (R. D. Cumming)

Der Tag, an dem meine Hauptfigur beschloss, aus dem Roman zu fallen, war heiß und erdrückend. Es war der Sommer, als Bayern München dreimal Zweiter wurde. Es war der Sommer der verpassten Chancen, in jeder Hinsicht. Ich setzte den Schlusspunkt unter „Für immer Juli“ im Juli 2012, nach eineinhalb Jahren Schreibarbeit (und ich schreibe bewusst von Arbeit); die großen Verlage, denen meine Agentin das Manuskript hoffnungsvoll angeboten hatte, waren längst fertig mit ihm: „Also darüber kann ich nicht lachen“, „schwer zu positionieren“, „schön und gut, aber das Thema ist durch.“

Für immer Juli im MaroVerlagVor allem diese eine Absage war es, die mich und meine Hauptfigur anstachelte. Die Frage, wie der moderne Mann Mitte 30 sein soll, Fragen zu seiner Orientierungslosigkeit und dem Wandel der Geschlechter-Rollen – all das soll „durch“ sein? Durch ist Vokuhila, „DSDS“ oder Aperol Spritz, aber doch nicht eines der spannendsten Themen diesseits und jenseits der Geschlechtergrenze. Vor allem Juli, der sinnsuchende Protagonist aus meiner Geschichte, war es, der die Watschn der Verlage nicht hinnehmen wollte. Und so kam der Tag, an dem Juli aus dem Roman fiel.

„Mach doch einen Blog, positionier dich als Männerversteher und bau dir dein Publikum im Netz selbst auf“, riet mir mein befreundeter Kollege Christian Einsiedel. Die Idee inspirierte mich, aber sie war noch nicht perfekt. Mich selbst in den Mittelpunkt zu rücken und einen auf Dr. Schlau zu machen, damit konnte ich mich nicht anfreunden. Ich bin Autor und kein Experte, Fantasie ist mein Wissen. Also grübelte ich weiter, während der Blogautor längst mit den manikürten Fingernägeln scharrte: Juli wollte den Job erledigen. Er hatte eine eingespielte Stimme und er hatte etwas zu sagen. Seine Mission hatte er ja bereits im Roman vorgegeben: Schluss mit luschig! Der Name des Blogs war demnach schnell gefunden (weitere Ideen wie Testosterontoni.de, Fiftyshadesofmen.de oder Mackeritis.de landeten auf den Plätzen).

Schluss mit luschig!

Das literarische Experiment, eine Romanfigur bloggen zu lassen, die Figur eines Romans, den noch keiner kennt wohlgemerkt, sollte mir die Frage beantworten, ob das Thema meiner Geschichte tatsächlich „durch“ ist. Zum anderen spürte ich seit jeher kindliche Freude an postmodernen Ebenenverschiebungen, an dem Spiel mit Identitäten, an neuen Marketingtools. Und diese braucht man unbedingt, geht man den Weg des Selfpublishers – was nach den Absagen Ende 2012 mein Ansatz war.

Das Blog als digitale Metaebene zum Roman

Das Projekt gefiel mir immer mehr: das Blog als digitale Metaebene, die Fortschreibung des Romans mit digitalen Mitteln. Ein literarisches Experiment. Wo, bitteschön, steht geschrieben, dass die Hauptfigur eines Romans nur zwischen zwei Buchdeckeln wirken soll? Ich zähle mich zu jener Autorengeneration, die das Schreiben offline lernte, aber auch online nach Herzenslust herumpubliziert. Julis Sprung ins Netz ist da nur konsequent: An der Schwelle von analog zu digital muss man mehr leisten, als nur einen gedruckten Roman zu verfassen, davon war ich fortan überzeugt. Dieses Spannungsfeld wollte ich neu ausloten.

Und noch ein Gedanke fügte sich in das postmoderne Schelmenstück ein wie Rotwein in eine gelungene Bolognese: Das Grundthema meines Romans spiegelt sich auch in dem Blogexperiment wider, die Frage nämlich: Kann man ein anderer sein, als man ist, und wenn ja, wie lange geht das gut?

Wer steckt hinter Julian Hartmann? (Foto: zeegaro)

Der Tag, an dem meine Hauptfigur doch noch einen Verleger fand, war mild und erfrischend. Es war der Sommer, als Bayern dreimal Erster wurde. Es war der Sommer der erfüllten Hoffnungen, in jeder Hinsicht. Das Blog mit der Hose, wie Schlussmitluschig.de auch genannt wird, hatte sich zu einer beliebten Adresse im Netz entwickelt. Inspirierende Unterhaltung, unter diesen Schlagwörtern schrieb Juli verschmitzte Listen für Männer, Frauen und Paare, er zitierte berühmte Persönlichkeiten und verfasste Typologien. Interviews mit Parship und Friendscout24, eine Erwähung in der GQ, die Aufnahme des von Juli erfundenen Begriffs der Emannzipation im Szenesprachen-Wiki, Kooperationsanfragen von Unterhosenherstellern und Dating-Portalen – all das zeigte uns in überwältigender Weise: Ehm, nein, das Thema ist ganz und gar nicht „durch“. Es knirscht gerade bemerkenswert. 100.000 Zugriffe in neun Monaten, 900 Facebook-Fans und mehr als 400 Twitter-Follower haben Juli und mich bestätigt.

Das Schelmenstück wächst: Buch zum Blog zum Roman

Das ist der Hintergrund, wenn nun endlich „Für immer Juli“ erscheint. Im Juli. Im wunderbaren MaroVerlag. Benno Käsmayr, der „selten so eine Freude beim Manuskriptlesen“ gehabt habe, wie er mir schrieb, wollte „das Teil“ bei sich im Sommer herausbringen. Gesagt, getan.

Was aber machte Juli, als der Roman auf dem Markt war? Ich schätze, er hat sich längst verselbstständigt. Mit konkreten Folgen: Ein Jahr nach dem Roman ist nun sein Sachbuch zum Blog zum Roman erschienen – eine Art Sekundärliteratur zu “Für immer Juli”. Am 1. Juli 2014 im Rowohlt-Verlag (zur Presseschau geht’s hier). Und ich frage mich: Warum sollten nicht auch Romanfiguren Bücher schreiben? Juli ist also einer von uns. Also von mir. Mein Alter Ego, wenn man so möchte, oder, wie Cicero es formulierte:

„Ein wahrer Freund ist gleichsam ein zweites Selbst.“

Auf Ich mach was mit Büchern durfte ich im Sommer 2013 mein literarisches Schelmenstück ausführlicher skizzieren. Hier geht’s zur dreiteiligen Reihe „Das vernetzte Romanprojekt“.

Was mich beim Schreiben des Romans inspiriert hat, habe ich für das Blog Sätze & Schätze notiert.

In der April/Mai-Ausgabe 2014 der Zeitschrift Federwelt habe ich den Entstehungsprozess des literarischen Schelmenstücks erschöpfend aufgeschrieben.

Auf der Webseite von GQ Deutschland durfte ich (bzw. Juli) im Herbst 2013 seine Theorien zum eMANNzipierten Mann darlegen. Hier lang.

Fazit und Ausblick

Wie aber geht es weiter, jetzt, da das literarische Schelmenstück abgeschlossen ist? Dieses höllisch schöne Abenteuer, das mich die vergangenen dreieinhalb Jahre zermürbte und euphorisierte? Das mich darin bestätigte, dass man als Autor ungewöhnliche Wege gehen kann und soll (vor allem, wenn man sich im Spannungsfeld zwischen On- und Offline bewegt); und dass literarische Figuren mehr auf dem Kasten haben, als lediglich zwischen zwei Buchdeckeln zu wirken. Ob das dem nächsten Helden auch gelingt? Wir werden sehen. Eines aber steht fest: Mein nächster Roman wird kommen. Irgendwann. Bis dahin träume ich vom Film zum Buch zum Blog zum Roman. Kann mal bitte jemand Florian David Fitz davon überzeugen, dass nur er den Juli spielen kann? Dankeschön!